Italia 90 und die Folgen

(Michael Schröpl)

Einleitung

Das war sie also nun, die Fußballweltmeisterschaft des Jahres 1990 in Italien. Vollgepackt mit Superlativen wie der größten Anzahl nicht genutzter, weil im Paket gekaufter Eintrittskarten aller Zeiten, gekennzeichnet von wenig Genialität und viel Krampf. Spannend war sie aber allemal - Farbtupfer wie Kamerun taten das ihre dazu, daß die WM nicht sofort in Vergessenheit geraten wird, wie manche Kritiker dies wohl am liebsten sähen.

Ich habe mir so ziemlich alle Spiele angesehen, die nicht gerade in meiner Arbeitszeit liefen. Einen guten Teil davon hätte ich mir wohl sparen können, aber man weiß ja vorher nie, daß England gegen Kamerun der Reißer und England gegen Holland zum Einschlafen sein wird.

Interessant erscheint es mir auf jeden Fall, einige Aspekte der WM aus dem United-Blickwinkel nachzubereiten. Solange hier auch nur ein einziger Leser die Fahne der Fußballsimulation hochhält, gibt es kaum eine bessere Gelegenheit, diese Simulation mit der Realität zu vergleichen, als das Aufeinandertreffen der besten Teams der Welt.

Und was kennzeichnet ein Ereignis im Rückblick besser als die Rekorde, die aufgestellt wurden?

Kleinste jemals erzielte Anzahl an Toren (2.21 pro Spiel).

Das weist auf allgemein starke Teams und gute Hintermannschaften, genauso aber auf eine überwiegend defensive Spielweise vieler Mannschaften hin. Genau wie bei den nach Erwartungswerten starken United-Aufstellungen waren auch bei kaum einem WM-Team mehr als zwei Spitzen zu sehen, während die Anzahl der Verteidiger stets mindestens 3 und oftmals 5 betrug. Würde man die bei dieser WM gezeigten Aufstellungen in United-Terminologie zu übersetzen versuchen, dann käme man auf

letztere erstaunlicherweise aber nicht von den Engländern, die sich mit Wright erstmals zu einem richtigen letzten Mann durchgerungen hatten. In manchen Fällen war gar nur eine einzige Spitze zu erkennen (x-x-4-4-1), was nach United--Standardregeln gar nicht und bei den Varianten am besten durch das Spiel auf Unentschieden simuliert wird.

Zahlreiche Spiele wurden im Mittelfeld gewonnen oder verloren. Kampf war Trumpf, mit Kraftfußball und vielen Spielern in der ersten Abfangreihe wurden die Räume eng gemacht. Und gegen diese Spielweise gibt es angesichts des spielerischen Niveaus und der kompromißlosen Einstellung vieler Abwehrspieler derzeit kaum ein Mittel: Alleingänge werden durch Notbremsen abgeblockt, wobei der Verteidiger die Gelbe (oder, wenn er Pech hat, Rote) Karte billigend in Kauf nimmt, Steilpaßspiel scheiterte an der von vielen Teams oft sogar unfreiwillig praktizierten Abseitsfalle, mehr noch aber an den geradezu katastrophalen Leistungen der Linienrichter. Es ist zugegebenermaßen nicht leicht, die Augen gleichzeitig auf den Paßgeber und auf den Paßempfänger zu richten, aber daß der Ball den entsprechenden Weg nicht in Nullzeit zurücklegen kann und die Spieler daher eventuell inzwischen völlig anders stehen als zum Zeitpunkt der Ballabgabe, das haben offenbar bisher nur die Reporter begriffen. Dasselbe gilt für den Heber mit Hinterhersprinten, bei dem die Linienrichter in 9 von 10 Fällen das passive Abseits der Sturmspitzen gnadenlos zur Zerstörung eines genialen Spielzuges ausnutzten. Die im United-Europapokal inzwischen in ihrer Wirkung stark reduzierte Abseitsfalle stellte bei der WM - sofern gekonnt vorgetragen - ein taktisches Mittel dar, gegen das praktisch kein Kraut gewachsen war, ähnlich wie dies im EC früher der Fall war.

Bei den Grundaufstellungen vermißt der United-Kenner das 2-2-5-Konzept: Gerade wegen der Abseitsfalle und ihrer kleinlichen Auslegung bekäme eine so oder ähnlich spielende Mannschaft kaum einen Spielzug zustande. Es sei denn, man würde Kick and Rush spielen - aber selbst die Engländer haben diesmal der Welt gezeigt, daß Spielkultur (Gascoigne + Waddle!) auch auf der Insel zu finden ist. Und da keine 2-2-5-Teams dabei waren, waren auch 4-4-2 oder gar 4-5-1 ohne Ausputzer nicht plattzuschießen.

Das einzige probate Mittel, eine massive Mittelfeldmauer zu durchbrechen, schafften die wenigen überragenden Figuren des WM-Geschehens, die den Mut aufbrachten, mit dem Ball am Fuß einfach loszuziehen und die ersten 2-3 Gegner einfach stehenzulassen. Das Tor von Matthäus zum 3:1 gegen Jugoslawien war in dieser Hinsicht der Optimalfall, auch Valderramas Alleingang gegen die Emirate war ein Genuß. Die Spreu trennte sich allerdings spätestens dann vom Weizen, wenn ein solcher Spieler erst einmal umgenietet worden war. Ein paar Mutige wie Maradona oder Matthäus schüttelten den Staub aus ihren Kleidern, kassierten mißmutig den zugestandenen Freistoß (daß so hochgezüchtete Stars so jämmerlich wenig aus Standardsituationen machen würden, hätte ich vorher nicht geglaubt) und zogen das nächste Mal wieder los. Andere wie Klinsmann oder Caniggia machten die Katastrophe zum System - solange, bis dem Schiedsrichter endlich der Kragen platzte oder der letzte Abwehrspieler dann doch Angst bekam. Dies kostete z. B. die Brasilianer den Einzug ins Viertelfinale.

Größte jemals erreichte Anzahl an Roten und Gelben Karten (16 bzw. 162)

Wobei wir schon beim nächsten Thema wären: Pro Spiel gab es 0.3 Rote und 3 Gelbe Karten. Rechnen wir nach United3-Formel zurück und klammern zur Vereinfachung den Torwart aus: Bei 20 betroffenen Spielern weist dies auf eine Rot-Chance von 1.5% und auf eine Gelb-Chance von 15% pro Spieler hin. Das kann man nun in Härtepunkte umrechnen - nein, kann man leider nicht. Es kommen nämlich zwei völlig widersprüchliche Ergebnisse dabei heraus: Die Roten Karten sehen aus wie bei Härte 2, die Gelben Karten wie bei Härte 5. Das ist aber seltsam ...

Wie sieht das denn bei Oberfoul-Härte aus? Schnell Heft 7 aufschlagen und die dort gefundenen Zahlen einsetzen: Der Erwartungswert von 1.5 Gelben Karten pro Team wird bei knapp weniger als Härte 5 erreicht, der Erwartungswert von 0.15 Roten Karten pro Spiel exakt bei Härte 6. Hier stimmt die Relation also schon wesentlich besser - meine Rede von Beginn an: Mit Fußball haben die Wahrscheinlichkeiten der United3-Härteregeln wirklich nicht viel zu tun. Und das Gekicke, das in den letzten Wochen über den Schirm flackerte, sah meiner Meinung nach durchaus nach Härte 5-6 im Durchschnitt (!) für jedes Team aus.

18 Elfmeter in 52 Spielen, also 0.3 Elfmeter pro Spiel, weisen darauf hin, daß auch in diesem Punkt die gängigen United-Regeln heftig übertreiben. Bei den vorhin angenommenen 5 Härtepunkten pro Team und Spiel hätte es in United gut dreimal so viele Strafstöße gegeben. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß diese hohe Strafstoßquote mitsimulieren muß, daß auch viele Freistoßtore die Folge vorherigen Härteeinsatzes sind, und daß die realen Fußballer meistens genau wissen, wo der Sechzehnmeterraum anfängt. Weitaus besser übrigens als zahlreiche Schiedsrichter, wie die Fernsehaufnahmen immer wieder beweisen.

Zudem sollte eine Härteregel, bei der das Ausmaß des Härteeinsatzes den Manager vor eine echte Aufgabe stellt, einigermaßen balanciert sein, während in realen Fußball fast schon wichtiger zu sein scheint, ob Schieds- oder ab und zu auch Linienrichter hinsehen (so geschehen im Finale). Und bei den heutzutage üblichen Schwalbenversuchen pfeifen die Männer in Schwarz einen Elfmeter auch nur noch dann, wenn das Foul und der Tatort offensichtlich sind - oder wenn sie glauben, etwas gutmachen zu müssen.

Die Spielerkader

22 Spieler waren von jedem Teilnehmer nominiert worden. Alle Teams kamen mit 20 eingesetzten Spielern aus, was die United/XY-Begrenzung auf diese Größe realistisch erscheinen läßt - nur Ostfrieslandvereine brauchen normalerweise mehr Platz.

414 Spieler wurden von den 24 Teams eingesetzt, im Schnitt also knapp über 17.

Die Ergebnisse

8 von 36 Spielen der Vorrunde endeten mit einem Unentschieden. Mit einer Remisbreite von 22% traf die WM die United-Verhältnisse in 2/12er-Szenarien also beinahe optimal: in AUFSTIEG waren es letzte Saison 23.5% (93 von 396 Spielen), in Oberfoul 23% (162 von 660 Spielen).

Danach allerdings wurde nur noch die Hälfte der Spiele innerhalb der regulären Spielzeit entschieden, der Rest mußte in die Verlängerung oder gar (viermal von 16 Spielen) ins Elfmeterschießen. Das liegt natürlich daran, daß die besten Teams doch einigermaßen ähnlich stark waren, während in United auch innerhalb einer Liga häufig Klassenunterschiede festzustellen sind (ganz abgesehen vom großen Ungleichmacher Heimvorteil). Aber United simuliert auch keinen Konditions-Effekt ("Wir halten 120 Minuten locker durch ...") und ebensowenig den Faktor Geduld, d. h. Warten auf den ersten Fehler des Gegners.

Natürlich kann man auch in United auf Elfmeterschießen spielen (10-10-Rasenschach), aber schon eine 50%-Remisbreite ist meist nur dann zu erreichen, wenn man ziemlich gut geraten hat (z. B. bei T10/A10 je 4 Torchancen, bei T 8/A 8 je 2 Torchancen für jedes Team). Ganz abgesehen davon, daß sich ein Spiel auf Elfmeterschießen in United wohl nur gegen Amateurteams lohnt.

Für eine Verlängerungsregel, falls jemand die mal neu schreiben wollte, könnte man daher statt der stupiden Drittelung der Spieler eine neuartige Reduzierung durchführen: Man zieht von der Stufe eines jeden Spielers das Doppelte seines Alters ab! (Eine Erdung auf Unterschreitung negativer Werte sollte wohl vorgesehen werden.). Ein X I 10 wäre dann noch 8 WP wert, ein X II 8 nur noch 4 WP, ein X III 6 bricht erschöpft zusammen. Klingt das realistisch? Dem Torwart sollte die Spieldauer eigentlich nichts ausmachen, dem Ausputzer (der weniger rennen muß als z. B. ein Andreas Brehme) könnte man sein Alter bloß einmal abziehen (sonst fallen in der Verlängerung unrealistisch viele Tore). Ob dieses oder ein ähnliches Modell mal von einem unserer tatendurstigen Leser (und Schreiber!) durchgerechnet werden könnte? Es würde auf jeden Fall ein junges, wertvolles Team im Pokalwettbewerb gegen einen mit Altstars aufgepumpten Drittligisten bevorzugen, und das erscheint mir nicht völlig verkehrt. (Wer hat da "Sing Sing" gerufen, hä?) Und da die Verlängerung in United3 nicht normiert ist, scheint mir die Suche nach einem neuen Modell legitimiert zu sein, ohne gleich eine Variante daraus werden zu lassen.