Die Ehrenrettung des Rasenschachs

(Michael Schröpl)

Bei der vorangegangenen Analyse von Stephan Valkyser ist die Rasenschach-Strategie eindeutig als Verlierer vom Platz geschlichen. Dabei ist sie doch vielerorten so beliebt! Irren sich denn alle diejenigen, die gerne Rasenschach spielen?

Zunächst einmal möchte ich die Äußerung, Rasenschach sei nur bei besserer Hintermannschaft gut, nicht anerkennen. Das hängt von der Anzahl der Gesamt-WP auf beiden Seiten ab. Bei 130 WP ist Rasenschach überhaupt nicht doll, wie wir gesehen haben. Bei 90 WP ist Rasenschach, richtig angewendet, eine ziemlich gute Waffe, und zwar gerade bei unterlegener Hintermannschaft! Gegen 0-0-39-38-13 sieht 0-20-14-14-42 bei 3:4 Erwartungstoren nicht sehr gut aus; 0-20-14-42-14 (was so ideal dagegen aussieht) kommt nur auf 2:2 Erwartungstore und sogar auf eine schlechtere Siegchance, 0-20-36-22-12 dagegen ist mit 6:5 Erwartungstoren überlegen, weil die bessere Hintermannschaft den Ausschlag gibt (Faktor 3 in der Hintermannschaft, nur Faktor 2 von M gegen V). Bei nur 70 WP gibt es gegen 0-0-30-30-10 schon überhaupt keine naheliegende 0-20-Aufstellung mehr, die überlegen wäre (0-20-30-10-10 ist nur gleich gut, lediglich mit 0-20-28-12-10 und heftigem Aufrunden kann man etwas reißen).

Wann ist eine Aufstellung überhaupt "gut"? Immer dann, wenn sie einen bestimmten Effekt mit einer möglichst hohen Wahrscheinlichkeit erreichen kann. Rasenschach ist z. B. gut, um gegen einen beliebigen Gegner wenige Gegentore zu erhalten, weil keine wie auch immer geartete 130-WP-trocken-Aufstellung gegen 10-10-30-40-20 mehr als 10 Torchancen bekommen kann. Zusammen mit einer guten eigenen Hintermannschaft ergibt das eine relativ hohe Remis-Breite, was bei Auswärtsspielen (wo man ja in der Regel schwächer als der Gegner ist und nicht unbedingt gewinnen will) von Nutzen sein kann.
Aber auch und gerade daheim ist Rasenschach eine nicht zu unterschätzende Waffe. Im Beispiel von Stephan Valkyser wurde Rasenschach in einer 'falschen' Umgebung eingesetzt (auf neutralem Platz, praktisch also in einem Pokalfinale). Nun stellen wir uns aber den 22. Spieltag vor, mit einem Heimvorteil von 8, und die angegebenen reinen Strategien. Ich spiele Rasenschach mit HV im Mittelfeld und sehe genüßlich zu, wie der Gegner sich abzappelt, ohne auch nur einen Gleichstand erreichen zu können (ohne Härte). Da ich gleiche Hintermannschaften habe, reichen die Torchancen, um dies zu belegen:

Rasenschach+HV gegen Sturm: 30-48-20gegen20-20-50=14:10 Chancen.
Rasenschach+HV gegen Mittelfeld: 30-48-20gegen20-50-20=3: 1 Chancen.
Rasenschach+HV gegen Rasenschach: 30-48-20gegen30-40-20=7: 3 Chancen.
Rasenschach+HV gegen Verteidigung: 30-48-20gegen40-30-20=12: 5 Chancen.

Ähnlich sieht es natürlich mit Mittelfeld plus HV in V aus.

Das ist die wahre Stärke des Rasenschachs: Da keine gegnerische Aufstellung jemals deutlich überlegen sein kann, braucht man daheim nur das kleine Loch im Mittelfeld zu stopfen, und schon ist der Gegner (bei gleicher WP-Stärke und Hintermannschaft) garantiert unterlegen.

Das bedeutet natürlich nicht, daß Rasenschach damit die beste aller Aufstellungen wäre. Mit Sturm plus HV erreicht man gegen eine gemischte Strategie des Gegners vermutlich mehr Erwartungspunkte. Sturm mit HV ist ebenfalls allen reinen Strategien überlegen (gegen Mauern nun immerhin mit 8:5 Chancen). Bei reinem Mittelfeld und Verteidigung dagegen reicht der Heimvorteil nicht aus, um die Erzfeinde zu schlagen: M + HV in M unterliegt gegen S mit 19:20, V + HV in M gegen M immer noch mit 5:6 Chancen.

Der Vorteil von Rasenschach gegenüber Sturm liegt in der Art der Gegenmaßnahme gegen die starke Strategie. Weil man daheim ziemlich hemmungslos 2-2-6 stürmen kann, werden schwächere Vereine auswärts oft zu einer verzweifelten nicht-reinen 5-2-2-Strategie greifen und mit ihrem Ausputzer den stärkeren Gegner dennoch zum 0:0 auffangen können. Gegen andere Gegner ist 5-2-2 natürlich immer schlechter, aber man kann bei guter Hintermannschaft vielleicht noch auf ein 0:0 oder einen Glückstreffer der eigenen Verteidigung hoffen. Die Gegenstrategie gegen ein überlegenes 3-5-2-Rasenschach ist schwieriger zu finden, da hier der Ausputzer nicht mithelfen kann - es sei denn, man stellt ihn ins Feld (2-5-3). Dann aber ist man gegen jede andere reine Strategie derartig mausetot, daß viele Manager davor zurückschrecken werden. 2-6-2 verbietet sich übrigens durch den fehlenden Ausputzer von selbst.