Nur zwei Seiten NSU-Befehle in Dippy?

(Michael Schröpl für Interzine '91.06', 1991-06-09)

Nachdem der LuDiKus offensichtlich seinen Geist endgültig ausgehaucht hat (und der GM mich genug genervt hat, so daß ich bei einer eventuellen Fortsetzung nicht mehr mitmachen würde), darf ich es nun wohl erzählen: Ich spiele in besagtem Zine in der Chaoten-Dippy-Partie IRRSINN mit.

Chaoten-Dippy ist erst einmal anonym. Das bedeutet also, daß man zum Verhandeln Presse schreiben muß. Das gefällt mir viel besser als normales Diplomacy, denn einerseits muß man höllisch aufpassen, was man sagt (Feind hört mit!), andererseits aber liest sich eine solche Auswertung immer recht amüsant. Wer schreibt schon zu normalem Diplomacy Presse? Bei anonymem Dippy dagegen ist immer etwas los.

Als erste Verschärfung folgt nun die Rateregel: Wenn jemand errät, wer Du bist, darf er Deine Einheiten eine Jahreszeit lang ziehen; wenn er falsch rät, darfst Du seine Einheiten ein ganzes Spieljahr lang ... Anonymität ist also oberstes Ziel - andernfalls bewegen sich Deine Einheiten plötzlich 'wie von selbst'.

Und um die Sache nun ganz wild zu machen, ist in Chaoten-Dippy auch noch Schwarze Presse erlaubt! Um meine Begriffswelt klarzustellen:

Bei Chaoten-Dippy kann man also dem bösen Feind Sachen in den Mund legen, bei denen dieser sich im Grabe herumdreht. (Im Allgemeinen ist hier ein sehr sensibler Spielleiter gefragt.) Schlimm für einen ordentlichen Planer ist dabei, daß er nicht klarstellen kann, was nun wirklich von ihm ist und was nicht.

In Kapitalisten-Dippy, wo man im Gegensatz zu dem in der Tat seinem Namen entsprechenden Chaoten-Dippy ordentlich planen will und muß, ist deshalb meines Wissens Schwarze Presse überall verboten, Graue Presse aber erlaubt.
Das führte bereits zu solch netten Episoden wie der Presse des (real existierenden) Paul Pfister in meinem Amtsblatt-KapWooldworthIID-GMing QUICHOTTE, die ich als Schwarze Presse zensiert habe, weil hier eben auch ein Pseudonym "Paul Pfister" mitspielt. (Seitdem fordert der echte Paul den Schutz realer Namen bei Pseudonymen und schreibt - und nicht nur er! - Presse als "Paul E. Pfister". Was allerdings kein vom GM geschütztes Pseudonym darstellt! Und dann ist da noch "Pfeil E. Puster", der zuletzt sogar mich armen Spielleiter per Presse vorübergehend erschossen hat - und konsequenterweise die nächste Auswertung selbst machen mußte ... aber schweigen wir von etwas Anderem. Überhaupt dürften solche Sachen ja eigentlich nur in der Abseitsfalle passieren, nicht bei diesem bürokratischsten aller Klone. Wie man sich doch täuschen kann!)

Wie verhandelt man also in Chaoten-Dippy, wenn man trotz der offensichtlichen Chaos-Regeln richtiges Dippy spielen will? (Eine normale Partie Anonymes Dippy, die mir viel lieber gewesen wäre, wurde im LuDiKus leider nicht angeboten - also nimmt man eben das nächstbeste Angebot an.) Die erste Idee, die ich auch realisiert habe, war, bei meiner Presse jeweils auch eine Codierung als Echtheitssiegel zu verwenden. Beispiel:

Und so weiter. Meine Züge werden ja vom GM veröffentlicht, und der Echtheitsbeweis lag somit auf der Hand. Das Verfahren ist übrigens keineswegs meine Erfindung, sondern in Anonymen Dippy-Partien seit Jahren gang und gäbe. Die LuDiKus-Leute kannten es allerdings nicht.

Interessant wurde die Sache, als ein Mitspieler jammerte, ich würde den herrlich chaotischen Geist von Chaoten-Dippy zerstören, und dem Spielleiter zuredete, solche Presse einfach zu verbieten. (Ohne jegliche Legitiimation aufgrund einer Regel natürlich!)
Bei einer zweiten Partie Chaoten-Dippy im LuDiKus gab der neue der Spielleiter (vielleicht gar einer der Mitspieler von IRRSINN?) sofort bei Partiestart an, solche Presse nicht zuzulassen! In diesem Moment fing ich an, mir über Alternativen Gedanken zu machen. Meine Verhandlungen standen nämlich ganz gut, RUSSIA war stärkste Nation, und überhaupt ...

Also angenommen, der Spielleiter maßt sich an, meine Presse zu zensieren. Wie um alles in der Welt kann ich dann noch so verhandeln, wie ich es möchte, nämlich unfälschbar? Irgendwas muß der GM in der Auswertung doch veröffentlichen - und zwar meine Züge.

Zunächst einmal hat man ja ab und zu Einheiten, die ohnehin einen Haltebefehl erhalten. Solchen Einheiten kann man genausogut einen Unterstützungsbefehl geben. Schaden kann das ja wohl nichts, oder? (Aha - deshalb kaut der Kerl beim Dippy-Workshop die ganzen paranoiden Sonderfälle durch! Sic.)
Na, dann unterstützen wir doch etwas. Und was? Am besten einen Befehl, den ich gerne als realen Befehl im nächsten Zug von meinem Mitspieler haben würde. Umgekehrt kann man, wenn man gerade nichts zu tun hat, auch eine Unterstützung für einen Mitspieler ankündigen, z. B. mit A Seb-Rum, F PeN S A A Ser-Bul. Im Klartext: "Leider steht meine Armee jetzt noch nicht in Rumänien, aber wenn sie dort ankommt, dann ..."
Die Beibehaltung der Reihenfolge der einzelnen Züge in der Auswertung durch den GM (auch darüber diskutierten wir ja im Diplomacy-Workshop) ist hierbei nicht zwingend erforderlich; wenn diese allerdings garantiert wäre, könnte man Befehle entsprechend gruppieren und somit effizienter kodieren. Alternativ wäre auch F PeN S A Rum S A A Ser-Bul eine prima Sache - es sei denn, der GM meint, das sei ein syntaktisch falscher Befehl, den er nicht veröffentlichen müsse.

So weit, so gut. Allerdings kann man auf diese Klavier derartig detaillierte Melodien spielen, daß einem sehr bald die Einheiten bzw. die Haltebefehle ausgehen. Schade drum. Oder? Wieso müssen das eigentlich alles echte Einheiten sein - wo sie doch auch nichts (in diesem Zug) Reales unterstützen? Drucken wir uns doch einfach ein paar Einheiten nach! Den GM wird das schon nicht stören, wenn wir freundlicherweise solche Einheiten auf dem Zugzettel extra markieren, ans Ende setzen oder ihm sonst die Arbeit erleichtern. Oder etwa doch? Schließlich müßte der GM diese Züge ja in der Auswertung veröffentlichen, also letzten Endes irgendwie abtippen, genau wie (nicht druckfertige) Presse. Und hier ist dann irgendwann der Punkt erreicht, wo der GM sich fragen wird, was dieser dämliche Spieler denn die ganze Zeit mit ihm treibt. Eventuell übrigens schon vor dem Erreichen der zweiten Seite.

Ein Schmankerl muß ich natürlich hierzu noch erzählen (man gönnt sich ja sonst nichts): Während der Diskussion über die kodierten Befehle hatte ein Spieler das Verfahren sofort übernommen, ein anderer allerdings sogar mit drop-out gedroht, falls meine Art der Presse weiter geduldet würde.
Um meine Position in dieser vom GM offen (wenngleich anonym) in der Auswertung geführten Debatte zu stärken, beschloß ich, die Notwendigkeit meiner Kodierung vorzuführen. Wie kann man das am besten tun? Man rät einen vermutlichen Zug-Set eines Mitspielers und gibt für diesen entsprechende Schwarze Presse ab! Der arme Kerl wird im nächsten Zug ernste Schwierigkeiten haben, seinen Mund wieder zuzukriegen, wenn man gut geraten hat. Wenn aber nicht? Dann ist die Sache leider ziemlich offensichtlich. (Der böse Spirit Naga, jaja!) Und das wollen wir ja nun auch nicht.

Bei wem ist das Raten eigentlich am einfachsten? Nicht etwa beim Spieler mit den wenigsten Einheiten, sondern gerade beim Spieler mit den meisten! Denn das sind wir zufällig selbst. Gesagt, getan: die eigene Presse 'gefälscht' (dabei absichtlich knapp daneben geraten, um hoffentlich von mir selbst abzulenken) - und im nächsten Zug mit einer Persilweste ersten Grades über die "Schweine" hergezogen, die doch tatsächlich meine Presse fälschen wollten: "Da seht ihr ja nun, wie notwendig meine Kodierungen sind!"
Ich habe natürlich keine Ahnung, ob und wie die Aktion tatsächlich gewirkt hat, denn seitdem ist kein LuDiKus mehr erschienen - aber eine Gaudi war es auf jeden Fall! Wie meinte Thomas Franke doch so richtig: Die Hälfte ist Psychologie!

Langer Rede kurzer Sinn: Für Diplomacy ist es vermutlich unerheblich, ob NSU-Züge veröffentlicht werden oder nicht. Ich sage aber bewußt "vermutlich", weil ich nicht garantieren kann, daß man damit nicht doch etwas Sinnvolles erreichen kann. Gerade deshalb aber will ich vor einer willkürlichen Festlegung für eine der (mindestens) zwei möglichen Lösungen dargestellt haben, welche Folgen jede von ihnen (hier für die Menge aller anonymen Diplomacy-Varianten) bedeuten kann. Die Veröffentlichung (oder auch nicht) von NSU-Zügen ist keine Varianten-Regel! Sie gehört in jede Diplomacy-Hausregel.

Für Anonymes Diplomacy sind die Vorteile übrigens ebenfalls da: Selbst wenn Schwarze Presse verboten ist, verhandele ich vielleicht lieber mit kodierten Befehlen als mit Presse, weil ich damit meinen Presse-'Tonfall', an dem ich ab und zu erkannt werde, nicht zur Schau stellen muß. Natürlich gilt letzteres nicht, solange die kodierten Befehle nur allein von diesem verrückten Spirit Naga verwendet werden - das ist mir schon klar. Aber wofür habe ich schließlich diesen Artikel geschrieben? Naga-Klone aller Anonymen Dippies, vereinigt Euch!
Und wenn dies wirklich so geschehen sollte, dann kann man eines Tages dann endlich die einfachere Lösung wählen und Schwarze Presse auch für Chaoten-Dippy verbieten. Ich habe noch nie viel von einer Regel gehalten, die für intelligente Mitspieler keine Gültigkeit besitzt. (Siehe "Kein Geld- und Spielerverleih in United3" und ähnlichen Unfug ...)